Avukat Metin Özdemir / Rechtsanwalt Metin Özdemir

Neofaschistische Entwicklungen in Deutschland (2012/05)

Seit Jahrzehnten sind wir in Deutschland mit einem gesellschaftlichen Phänomen konfrontiert, bei dem Menschen aus bestimmten Teilen der Gesellschaft in verschiedenen Formen und mit verschiedenen Methoden und Waffen auf Menschen aus anderen Teilen der Gesellschaft Angriffe durchführen. Häufig werden die dabei angegriffenen Menschen ermordet. Mit den Ereignissen in Hoyerswerda im Jahre 1991 hatten diese Angriffe eine neue Qualität erreicht. Bei diesen Angriffen, die vor den Augen der Sicherheitskräfte und der Bevölkerung durchgeführt wurden, wurde das Recht der Menschen auf Existenzsicherheit offen angegriffen. Mit den etwas späteren Ereignissen in Mölln, Solingen und Lübeck haben die Angriffe ein weiteres neues Ausmaß angenommen. Hier wurden Kinder, Frauen, Männer, Jung und Alt im Schlaf verbrannt.

Solche Angriffe wiederholen sich seitdem immer wieder und überall.

In der Regel nehmen diese Angreifer ihr Demonstrationsrecht unter dem Schutz der Polizei in Anspruch. Wenn die Angreifer es für nötig halten, haben sie mittlerweile immer weniger Hemmungen, mit eben derselben Polizei den offenen Konflikt zu suchen.

Nach den neuesten, erst vor kurzem gewonnen Erkenntnissen haben die Angreifer bereits eine bemerkenswerte Stärke und sehr gute organisatorische Struktur erreicht. Ohne gefasst zu werden, haben sie dreizehn Jahre lang in verschiedenen Orten Deutschlands mehrere Banküberfälle durchgeführt, eine Polizistin ermordet und einen Polizisten lebensgefährlich verletzt, Bombenanschläge auf Geschäfte von BürgerInnen türkischer Herkunft verübt und acht Menschen türkischer Herkunft sowie einen Menschen griechischer Herkunft kaltblütig erschossen.

Um dieses gesellschaftliche Phänomen erfolgreich bekämpfen zu können, muss man es zunächst richtig einordnen, definieren und beim Namen nennen.

Hierfür wiederum muss man richtig feststellen, von wem diese Angriffe ausgehen, gegen wen sie sich richten sowie welche gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kräfte hinter diesen Angriffen stehen.

Gegen welche Menschen richten sich die Angriffe?

Die Angriffe richten sich gegen bestimmte Menschengruppen in der Gesellschaft.

Die Angriffe werden auf einer Klassengrundlage durchgeführt.

Wer sind die Angreifer?

Die Angreifer und die Organisationen sowie die Kräfte, die die Angreifer unterstützen, haben manche gemeinsame Besonderheiten.

Definition und Benennung des gesellschaftlichen Phänomens

Dieses gesellschaftliche Phänomen hat also bestimmte Merkmale wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit usw. Allerdings ist dieses gesellschaftliche Phänomen nicht gleichzusetzen mit seinen Merkmalen und auch nicht mit der Summe seiner Merkmale. Man darf es nicht auf seine Merkmale reduzieren; es ist viel mehr und daher auch etwas anderes als nur die Summe seiner Merkmale.

Deswegen ist es ein Fehler, dieses Phänomen mit einem oder mit einigen seiner Merkmale zu definieren und zu benennen. Es ist falsch, es als RASSISMUS, FREMDENFEINDLICHKEIT, ANTISEMITISMUS oder ISLAMFEINDLICHKEIT usw. zu definieren und zu benennen.

Im Folgenden soll anhand von Beispielen im Einzelnen dargestellt werden, weshalb eine Reduzierung des Phänomens auf seine Merkmale unzulässig ist:

Wir hatten bereits festgestellt, dass die Voraussetzung zur erfolgreichen Bekämpfung dieses gesellschaftlichen Phänomens und seiner Merkmale wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit usw. die richtige und deutliche Einordnung, Definition und Benennung dieses gesellschaftlichen Phänomens selbst ist. Ohne es richtig und deutlich einzuordnen, zu definieren und zu benennen, kann man es und seine Merkmale nicht erfolgreich bekämpfen. Wie wir nun gesehen haben, kann diese Einordnung, Definition und Benennung nicht darüber geschehen, dass man es mit einem oder mehrerer seiner Merkmale gleichsetzt.

Der Versuch, dieses gesellschaftliche Phänomen lediglich anhand seiner Merkmale einordnen, definieren und benennen zu wollen, führt noch zu weiteren Nachteilen.

Zunächst bleibt den Menschen im Volk die wirkliche Gefahr, welches von dem Phänomen ausgeht, verborgen, da man das Phänomen nicht bei seinem wirklichen Namen nennt, sondern nur seine Merkmale aufzählt. Dadurch aber entgeht dem Kampfe gegen das Phänomen ein großer Teil der Unterstützung des Volkes, da man um die Unterstützung des Volkes lediglich mit dem Hinweis auf die einzelnen Merkmale wirbt. Indessen kann die Unterstützung des Volkes nicht mit Hinweis auf die einzelnen Merkmale – wie abstoßend diese im Einzelnen auch sein mögen – gewonnen werden. Ein großes Unterstützungspotenzial des Kampfes gegen dieses gesellschaftliche Phänomen bleibt somit ungenutzt. Daher ist die richtige Benennung und Definition des gesellschaftlichen Phänomens eine der grundlegenden Bedingungen seiner Bekämpfung.

Häufig wird dieses gesellschaftliche Phänomen auch als “Rechtsextremismus” bezeichnet. Zwar beinhaltet der Begriff “Rechtsextremismus” dieses gesellschaftliche Phänomen, er hat aber einen breiteren Inhalt, der darüber hinaus geht. “Rechtsextremismus” beinhaltet neben diesem gesellschaftlichen Phänomen auch alle anderen rechtsextremistischen politischen Strömungen. Der Begriff “Rechtsextremismus” gibt uns keine konkreten Aussagen über dieses gesellschaftliche Phänomen, da er die Grenzen verwischt, die dieses gesellschaftliche Phänomen von den anderen rechtsextremistischen politischen Strömungen trennen und unterscheiden. Er hilft nicht dabei, dieses gesellschaftliche Phänomen richtig einzuordnen, zu definieren und bei seinem wahren Namen zu nennen und verhindert somit die erfolgreiche Bekämpfung dieses gesellschaftlichen Phänomens.

Dieses gesellschaftliche Phänomen ist ein ideologisches und politisches Phänomen.

Dieses ideologische und politische Phänomen hat gesellschaftliche und wirtschaftliche Grundlagen.

Diese gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Grundlagen besitzen Klassencharakter.

Dieses ideologische und politische Phänomen ist der NEOFASCHISMUS.

Er muss ideologisch, politisch und wirtschaftlich bekämpft werden.


Metin Özdemir

- Jurist -

Berlin, 01.05.2012