In Art.5
Abs.1 GG wird die Meinungsfreiheit geregelt. (1)
In Art.5
Abs.1 S.1 GG wird die Meinungsfreiheit folgendermaßen formuliert: “Jeder
hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern
und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen
ungehindert zu unterrichten.”
In diesem
Artikel ist die Meinungsfreiheit für jederman so deutlich und
unmissverständlich formuliert, daß es keiner weiteren Ergänzung oder
Erläuterung bedarf.
DIE GRENZEN
DER MEINUNGSFREIHEIT IM GRUNDGESETZ
In einigen
Artikeln des Grundgesetzes wird die Meinungsfreiheit allerdings auch
eingeschränkt. Diese Einschränkungen sind folgende:
-
Art.5
Abs.2 GG: “Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften
der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze
der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.”
-
Art.5
Abs.3 GG: “Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur
Verfassung.” Die Regelung im Art.5 Abs.3 S.2 schränkt die
Meinungsfreiheit durch die “Treue zur Verfassung” ein.
-
Art.1
Abs.1 GG: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und
zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.”
Art.1
Abs.2 GG: “Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen
und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder
menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der
Welt.”
Art.1
Abs.3 GG: “Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung,
vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes
Recht.”
Art.1
Abs.1 GG ist der höchste Wert des Grundgesetzes und des ganzen
Rechtssystems. Er schränkt alle Bestimmungen des Grundgesetzes und
des Rechtssystems ein. Für die Auslegung aller
verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen bildet dieser
Artikel die Grenze.
Ein
anderer Beleg für den hohen Wert, die wichtige Stellung und
Bedeutung des Art.1 GG im Grundgesetz und im ganzen Rechtssystem ist
der Art.79 Abs.3 GG, in dem unter anderem festgeschrieben ist, daß
Art.1 GG nicht geändert werden darf.
Der hohe
Wert, die wichtige Stellung und Bedeutung des Art.1 Abs.1 GG im
Grundgesetz und im ganzen Rechtssystem sind auch in den
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie in den Büchern
der Verfassungsrechtler sehr deutlich dokumentiert worden:
-
“Die
Würde des Menschen ist nach dem Grundgesetz der oberste Wert und
gehört zu den tragenden Konstitutionsprinzipien. – BVerfGE 6,
32(36, 41); 50,166 (175).- Höchster Bezugspunkt der
verfassungsmässigen Ordnung ist also nicht der Staat, sondern
der Mensch. (...)” (2 – Müller, S.60)
-
“Art.1 Abs.1 GG verlangt vom Staat sowohl das Unterlassen von
Eingriffen als auch eine aktive Verteidigung der Menschenwürde
gegenüber Erniedrigung, Verfolgung und Ächtung. -BVerfGE 1,
97(104). (...)“ (3 – Müller, S.60)
-
“(...) Wegen seiner die ganze Verfassung beherrschenden
Bedeutung ist das Gebot der Achtung der Menschenwürde eigentlich
bei der Auslegung aller Grundrechte zu beachten, vor allem aber
bei denen, die die Persönlichkeit des Menschen oder dessen
Existenz überhaupt schützen.” (4 – Müller, S.61)
-
“(...) Durch die Verpflichtung aller Staatsgewalt, die Würde des
Menschen zu schützen und zu achten – als oberstes Handlungsgebot
– gehört die Menschenwürde zu den elementarsten Säulen des
Grundgesetzes und der Wertordnung. Dies hat auch das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung Bd. 32, 98, 100
dokumentiert, in dem es die freie menschliche Persönlichkeit und
ihre Würde als den höchsten Rechtswert innerhalb der
verfassungsmässigen Ordnung betont. Einen besonderen Stellenwert
erhält die Unverletzlichkeit der Menschenwürde auch dadurch,
dass sie durch Art.79 Abs.3 GG (Ewigkeitsklausel) einer
Verfassungsänderung entzogen wird und gegenüber anderen
Grundrechtsbestimmungen somit einen höheren Rang einnimmt.” (5 –
Alfert, Kühlkamp, Stegemann, begleitend Erbguth., S.318)
-
“Deshalb liegt die eigentliche Bedeutung der Menscherwürde, dies
ist bereits oben angeklungen, in der Austrahlungwirkung des
Art.1 Abs.1 GG auf die gesamte Rechtsordnung.” (6 – Alfert,
Kühlkamp, Stegemann, begleitend Erbguth., S.319)
Mit der
Bestimmung in Art.1 Abs.1 “Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen
Gewalt.” ist die Unantastbarkeit und der Schutz der Würde des
Menschen verfassungsrechtlich gewährleistet. Art.1 Abs.1 GG muß bei
der Auslegung und Benutzung aller anderen Grundrechte im Grundgesetz
berücksicht werden. Das bedeutet wiederum, dass die Unantastbarkeit
und der Schutz der Würde des Menschen alle anderen Grundrechte im
Grundgesetz generell einschränkt. Niemand darf andere Grundrechte
und Freiheiten im Grundgesetz gegen die Würde des Menschen benutzen.
Die
Würde des Menschen ist auch die Grenze der Meinungsfreiheit. Niemand
darf die Meinungsfreiheit gegen die Würde des Menschen benutzen. Auf
der Meinungsfreiheit beruhend darf die Würde des Menschen niemals
angetastet werden.
Alle
staatliche Gewalt ist verpflichtet, die Würde des Menschen zu achten
und sie zu schützen. Alle Menschen sind verpflichtet, auf die Würde
des Menschen zu achten. Der Staat hat die Aufgabe und die
Verpflichtung, zu sichern, daß alle Menschen auf die Würde des
Menschen achten.
-
In
Art.18 GG ist die Verwirkung der Grundrechte geregelt: “Wer die
Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (
Artikel 5 Abs.1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs.3), (...) zum
Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr
Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.”
Mit der
Regelung in diesem Artikel wird die Meinungsfreiheit durch “die
freiheitliche demokratische Grundordnung” eingeschränkt. “Die
freiheitliche demokratische Grundordnung” ist somit eine weitere
Grenze der Meinungsfreiheit.
-
In
Art.17a GG ist die Einschränkung der Grundrechte in besonderen
Fällen geregelt. Hiernach gilt: “Gesetze über Wehrdienst und
Ersatzdienst können bestimmen, daß für die Angehörigen der
Streitkräfte und des Ersatzdienstes während der Zeit des Wehr- oder
Ersatzdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift und
Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Artikel 5 Abs.1 Satz 1 erster
Halbsatz), (...) eingeschränkt werden.”
IST
RASSISMUS VERFASSUNGSKONFORM?
Erlaubt es
das Grundgesetz, den Rassismus zu verteidigen und zu propagieren? Darf
man den Rassismus verfassungsrechtlich verteidigen und propagieren? Ist
es möglich, im Rahmen der Meinungsfreiheit und im Rahmen deren
Einschränkungen im Grundgesetz den Rassismus verfassungsrechtlich zu
vertreten, zu verteidigen und zu propagieren? Bevor wir diese Fragen
beantworten, sollen wir erst versuchen, zu erklären, was Rassismus ist.
WAS BEDEUTET RASSISMUS?
Im Folgenden
wollen wir Definitionen von Wissenschaftlern über die Bedeutung des
Begriffs Rassismus wiedergeben:
-
Rassismus, “Inbegriff politischer Einstellungen und Bestrebungen,
andere Rassen bzw. etnische Gruppen als minderwertig zu
diskriminieren.” (7 – Weber-Fas)
-
Rassismus, “Glaube an Höherwertigkeit bzw. Überlegenheit der eigenen
Rasse, mit sozialen und politischen Folgen, die zur Diskriminierung,
Ächtung oder physischen Verfolgung bzw. Vernichtung als
‘minderwertig’ deklarierter Volksgruppen führen können.” (8 –
Holtmann)
-
Rassismus, “Ideologie, die eine prinzipielle, mit biologischen
Argumenten begründete Ungleichheit zwischen Menschen
unterschiedlicher Abstammung behauptet, daraus den
Überlegenheitsanspruch der jeweils eigenen Rasse oder Gruppe
ableitet und aggressives, diskriminierendes Verhalten gegenüber
Fremden fördert.” (9 – Nohlen, Grotz)
-
“Die
Ideologie des Rassismus (R.) erklärt soziale Phänomene mit Hilfe
pseudowissenschaftlicher Analogieschlüsse aus der Biologie. Als
Reaktion auf die egalitären Universalitätsansprüche der Aufklärung
sucht sie eine anscheinend unantastbare Rechtfertigung sozialer
Ungleichheit durch den Bezug auf naturwissenschaftliche
Gewissheiten. Kultur, sozialer Status, Begabung und Charakter gelten
als von der erbbiologischen Ausstattung determiniert. Eine
naturgegebene, hierarchisch-autoritäre Herrschaftsordnung und die
daraus folgenden Handlungszwänge rechtfertigen auf individueller wie
institutioneller Ebene die Diskriminierung, Ausgrenzung,
Unterdruckung, Verfolgung und Vernichtung von Individuen und
Gruppen. Hautfarbe, Blut und Gene stabilisieren die Abgrenzung
zwischen In- und Out-Group und sichern die Vorrangstellung des
Eigenen vor dem Fremden. Der zivilisatorische Fortschritt der
Moderne wird als dekadente, der natürlichen Ungleichheit der
Menschen widersprechende Verfallsgeschichte interpretiert.“ (10 –
Nohlen)
-
“(...)
Die sozialen Bezugspunkte werden zunächst biologisiert: Volk,
Gesellschaft, Staat, Mensch, Kultur usw. (...)” (11 - Kritik der
İdeologie des Neofaschismus)
RASSISMUS IST EIN CHARAKTERISTISCHES MERKMAL
DES FASCHISMUS
Rassismus
steht lediglich im Wörterbuch alleine und nur für sich selbst da. Im
gesellschaftlichen Leben hingegen existiert er als ein Merkmal eines
ideologischen und politischen Phänomens. Dieses ideologische und
politische Phänomen hat gesellschaftliche und wirtschaftliche
Grundlagen, welche wiederum einen Klassencharakter besitzen. Bei diesem
ideologischen und politischen Phänomen handelt es sich um den
Faschismus. Somit ist der Rassismus ein besonderes, charakteristisches
Merkmal des (insbesondere deutschen) Faschismus.
Da im
gesellschaftlichen Leben der Rassismus ein Merkmal des Faschismus ist,
ist ein Rassist nicht eben nur ein Rassist, sondern auch ein Faschist.
Im gesellschaftlichen Leben ist es unmöglich den Rassimus vom Faschismus
zu trennen. Im gesellschaftlichen Leben darf man den Rassismus nicht
unabhängig und getrennt von Faschismus allein betrachten und behandeln.
Rassismus ist einer der ideologischen Grundsteine des Faschismus.
Wenn man
sich mit dem Rassismus unter verfassungsrechtlichen und gesetzlichen
Aspekten beschäftigen will, darf man ihn nicht alleine und nur für sich
selbst, sondern mit dem Phänomen des Faschismus gemeinsam betrachten und
behandeln. Er ist nicht einfach eine Meinungsrichtung, die man im Rahmen
der Meinungsfreiheit betrachten und behandeln darf. Er ist Vorsatz und
eine theoretische Begründung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit.
Er ist ein Merkmal des Faschismus und stellt mit dem Faschismus als
Gesamtheit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
RASSISMUS IST NICHT VERFASSUGSKONFORM
Art.1 Abs.1
GG hat mit der Regelung “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” die
Türen des Grundgesetzes dem Rassismus gegenüber, der die Würde des
Meschen mit Füßen tritt, verschlossen.
Art.1 Abs.2
und Abs.3 GG haben zudem die Türen des Grundgesetzes dem Rassismus
gegenüber verriegelt.
Art.1 GG
schränkt die in dem Art.5 Abs.1 GG geregelte Meinungsfreiheit ein. Es
ist nicht möglich, im Rahmen des Grundgesetzes auf der Meinungsfreiheit
in dem Art. 5 Abs.1 GG beruhend den Rassismus zu verteidigen und zu
propagieren.
Der
Rassismus ist nicht verfassungskonform.
Mit der
Regelung in Art.5 Abs.3 S.2 GG “Die Freiheit der Lehre entbindet nicht
von der Treue zur Verfassung.” wird sowohl “die Freiheit der Lehre” als
auch “die Meinungsfreiheit” durch “die Treue zur Verfassung”
eingeschränkt.
Auch nach
Art.5 Abs.3 S.2 GG ist es nicht möglich, den Rassismus, der es sich zum
Ziel gesetzt hat, die Grundrechte und die freiheitliche demokratische
Grundordnung im Grundgesetz abzuschaffen, auf der Meinungsfreiheit
beruhend verfassungsrechtlich zu verteidigen und zu propagieren.
In Art.18
GG wird “Die Grundrechtsverwirkung” geregelt: “Wer die Freiheit der
Meinungsäußerung, insbesondere Pressefreiheit (Artikel 5 Abs.1), die
Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), (....) zum Kampfe gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese
Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das
Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.” Mit der Regelung in Art.18 GG
wird die Meinungsfreiheit durch “die freiheitliche demokratische
Grundordnung” eingeschränkt.
Auch nach
Art.18 GG darf man somit den Rassismus, der gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung und deren Prinzipien ist und der es sich zum
Ziel gesetzt hat, diese abzuschaffen, auf der Meinungsfreiheit beruhend
nicht verteidigen und propagieren.
Das
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland schließt den Rassismus
aus und verschließt und verriegelt ihm gegenüber seine Türen.
Metin
Özdemir
-Jurist-
Berlin,
14.07.2012
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Literaturverzeichnis:
(1)
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Textausgabe – Stand:
2002, Herausgeber:Deutscher Bundestag, -Verwaltung- Referat
Öffentlichkeitsarbeit, Berlin, 2003, Gesamtherstellung: Ebner &
Spiegel, Ulm.
(2, 3, 4)
Christoph M. Müller, Staats- und Verfassungsrecht der Bundesrepublik
Deutschland, S. 60, S. 61, R. v. Decker’s Verlag, G. Schenck,
Heidelbeg-Hamburg, 1982.
(5, 6)
Walter Alfert, Hermann Kühlkamp, Helmut Stegemann, begleitend Wilfried
Erbguth, Staats- und Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S.
318, S. 319, Verlag Bernhard- Schünemann, 5810 Witten 3.
(7) Rudolf
Weber-Fas, Das kleine Staatslexikon, S. 403, Suhrkamp Taschenbuch
Verlag, Stuttgart, 1995.
(8) Prof.
Dr. Everhard Holtmann, Politik-Lexikon, S. 567, R. Oldenburg Verlag,
München-Wien, 2000.
(9) Prof.
Dr. Dieter Nohlen, Prof. , Dr. Florian Grotz, Kleines Lexikon der
Politik, S. 459-460, Bundeszentrale für politische Bildung,
schriftenreiche Band 759, Verlag C. H. Beck oHG, München, 2007.
(10)Prof.
Dr. Dieter Nohlen, Lexikon der Politik, Band 1 Politische Teorien, S.
497, Herausgegeben von Dieter Nohlen und Rainer-Olaf Schultze,
Büchergilde Gutenberg Frankfurt am Main, 1995.
(11) Kritik
der İdeologie des Neofaschismus, S. 88, Redaktion der Originalausgabe:
J. D. Modrshinskaja, N. W. Mostowjez, W. I. Zapanow; Übersetzer: Gertrud
Lehmann, Christine Broszeit, Josef Görbert, Staatsverlag der Deutschen
Demokratischen Republik, Berlin, 1978. |