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DIE MEINUNGSFREIHEIT IM GRUNDGESETZ FÜR DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND DIE RASSISMUSFRAGE (07/2012)

 

 

In Art.5 Abs.1 GG wird die Meinungsfreiheit geregelt. (1)

In Art.5 Abs.1 S.1 GG wird die Meinungsfreiheit folgendermaßen formuliert: “Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.”

In diesem Artikel ist die Meinungsfreiheit für jederman so deutlich und unmissverständlich formuliert, daß es keiner weiteren Ergänzung oder Erläuterung bedarf.

DIE GRENZEN DER MEINUNGSFREIHEIT IM GRUNDGESETZ

In einigen Artikeln des Grundgesetzes wird die Meinungsfreiheit allerdings auch eingeschränkt. Diese Einschränkungen sind folgende:

  1. Art.5 Abs.2 GG: “Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.”

  2. Art.5 Abs.3 GG: “Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.” Die Regelung im Art.5 Abs.3 S.2 schränkt die Meinungsfreiheit durch die “Treue zur Verfassung” ein.

  3. Art.1 Abs.1 GG: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.”

Art.1 Abs.2 GG: “Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.”

Art.1 Abs.3 GG: “Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung,  vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.”

Art.1 Abs.1 GG ist der höchste Wert des Grundgesetzes und des ganzen Rechtssystems. Er schränkt alle Bestimmungen des Grundgesetzes und des Rechtssystems ein. Für die Auslegung aller verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen bildet dieser Artikel die Grenze.

Ein anderer Beleg für den hohen Wert, die wichtige Stellung und Bedeutung des Art.1 GG im Grundgesetz und im ganzen Rechtssystem ist der Art.79 Abs.3 GG, in dem unter anderem festgeschrieben ist, daß Art.1 GG nicht geändert werden darf.

Der hohe Wert, die wichtige Stellung und Bedeutung des Art.1 Abs.1 GG im Grundgesetz und im ganzen Rechtssystem sind auch in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie in den Büchern der Verfassungsrechtler sehr deutlich dokumentiert worden:

  • “Die Würde des Menschen ist nach dem Grundgesetz der oberste Wert und gehört zu den tragenden Konstitutionsprinzipien. – BVerfGE 6, 32(36, 41); 50,166 (175).- Höchster Bezugspunkt der verfassungsmässigen Ordnung ist also nicht der Staat, sondern der Mensch. (...)” (2 – Müller, S.60)

  • “Art.1 Abs.1 GG verlangt vom Staat sowohl das Unterlassen von Eingriffen als auch eine aktive Verteidigung der Menschenwürde gegenüber Erniedrigung, Verfolgung und Ächtung. -BVerfGE 1, 97(104). (...)“ (3 – Müller, S.60)

  • “(...) Wegen seiner die ganze Verfassung beherrschenden Bedeutung ist das Gebot der Achtung der Menschenwürde eigentlich bei der Auslegung aller Grundrechte zu beachten, vor allem aber bei denen, die die Persönlichkeit des Menschen oder dessen Existenz überhaupt schützen.” (4 – Müller, S.61)

  • “(...) Durch die Verpflichtung aller Staatsgewalt, die Würde des Menschen zu schützen und zu achten – als oberstes Handlungsgebot – gehört die Menschenwürde zu den elementarsten Säulen des Grundgesetzes und der Wertordnung. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung Bd. 32, 98, 100 dokumentiert, in dem es die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde als den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmässigen Ordnung betont. Einen besonderen Stellenwert erhält die Unverletzlichkeit der Menschenwürde auch dadurch, dass sie durch Art.79 Abs.3 GG (Ewigkeitsklausel) einer Verfassungsänderung entzogen wird und gegenüber anderen Grundrechtsbestimmungen somit einen höheren Rang einnimmt.” (5 – Alfert, Kühlkamp, Stegemann,  begleitend Erbguth., S.318)

  • “Deshalb liegt die eigentliche Bedeutung der Menscherwürde, dies ist bereits oben angeklungen, in der Austrahlungwirkung des Art.1 Abs.1 GG auf die gesamte Rechtsordnung.” (6 – Alfert, Kühlkamp, Stegemann,  begleitend Erbguth., S.319)

Mit der Bestimmung in Art.1 Abs.1 “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” ist die Unantastbarkeit und der Schutz der Würde des Menschen verfassungsrechtlich gewährleistet.  Art.1 Abs.1 GG muß bei der Auslegung und Benutzung aller anderen Grundrechte im Grundgesetz berücksicht werden. Das bedeutet wiederum, dass die Unantastbarkeit und der Schutz der Würde des Menschen alle anderen Grundrechte im Grundgesetz generell einschränkt. Niemand darf andere Grundrechte und Freiheiten im Grundgesetz gegen die Würde des Menschen benutzen.

Die Würde des Menschen ist auch die Grenze der Meinungsfreiheit. Niemand darf die Meinungsfreiheit gegen die Würde des Menschen benutzen. Auf der Meinungsfreiheit beruhend darf die Würde des Menschen niemals angetastet werden.

Alle staatliche Gewalt ist verpflichtet, die Würde des Menschen zu achten und sie  zu schützen. Alle Menschen sind verpflichtet, auf die Würde des Menschen zu achten. Der Staat hat die Aufgabe und die Verpflichtung, zu sichern, daß alle Menschen auf die Würde des Menschen achten.

  1. In Art.18 GG ist die Verwirkung der Grundrechte geregelt: “Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit ( Artikel 5 Abs.1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs.3), (...) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.”

Mit der Regelung in diesem Artikel wird die Meinungsfreiheit durch “die freiheitliche demokratische Grundordnung” eingeschränkt. “Die freiheitliche demokratische Grundordnung” ist somit eine weitere Grenze der Meinungsfreiheit.

  1. In Art.17a GG ist die Einschränkung der Grundrechte in besonderen Fällen geregelt. Hiernach gilt: “Gesetze über Wehrdienst und Ersatzdienst können bestimmen, daß für die Angehörigen der Streitkräfte und des Ersatzdienstes während der Zeit des Wehr- oder Ersatzdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Artikel 5 Abs.1 Satz 1 erster Halbsatz), (...) eingeschränkt werden.”

IST RASSISMUS VERFASSUNGSKONFORM?

Erlaubt es das Grundgesetz, den Rassismus zu verteidigen und zu propagieren? Darf man den Rassismus verfassungsrechtlich verteidigen und propagieren? Ist es möglich, im Rahmen der Meinungsfreiheit und im Rahmen deren Einschränkungen im Grundgesetz den Rassismus verfassungsrechtlich zu vertreten, zu verteidigen und zu propagieren? Bevor wir diese Fragen beantworten, sollen wir erst versuchen, zu erklären, was Rassismus ist.

WAS BEDEUTET RASSISMUS?

Im Folgenden wollen wir Definitionen von Wissenschaftlern über die Bedeutung des Begriffs Rassismus wiedergeben:

  • Rassismus, “Inbegriff politischer Einstellungen und Bestrebungen, andere Rassen bzw. etnische Gruppen als minderwertig zu diskriminieren.” (7 – Weber-Fas)

  • Rassismus, “Glaube an Höherwertigkeit bzw. Überlegenheit der eigenen Rasse, mit sozialen und politischen Folgen, die zur Diskriminierung, Ächtung oder physischen Verfolgung bzw. Vernichtung als ‘minderwertig’ deklarierter Volksgruppen führen können.” (8 – Holtmann)

  • Rassismus, “Ideologie, die eine prinzipielle, mit biologischen Argumenten begründete Ungleichheit zwischen Menschen unterschiedlicher Abstammung behauptet, daraus den Überlegenheitsanspruch der jeweils eigenen Rasse oder Gruppe ableitet und aggressives, diskriminierendes Verhalten gegenüber Fremden fördert.” (9 – Nohlen, Grotz)

  • “Die Ideologie des Rassismus (R.) erklärt soziale Phänomene mit Hilfe pseudowissenschaftlicher Analogieschlüsse aus der Biologie. Als Reaktion auf die egalitären Universalitätsansprüche der Aufklärung sucht sie eine anscheinend unantastbare Rechtfertigung sozialer Ungleichheit durch den Bezug auf  naturwissenschaftliche Gewissheiten. Kultur, sozialer Status, Begabung und Charakter gelten als  von der erbbiologischen Ausstattung determiniert. Eine naturgegebene, hierarchisch-autoritäre Herrschaftsordnung und die daraus folgenden Handlungszwänge rechtfertigen auf individueller wie institutioneller Ebene die Diskriminierung, Ausgrenzung, Unterdruckung, Verfolgung und Vernichtung von Individuen und Gruppen. Hautfarbe, Blut und Gene stabilisieren die Abgrenzung zwischen In- und Out-Group und sichern die Vorrangstellung des Eigenen vor dem Fremden. Der zivilisatorische Fortschritt der Moderne wird als dekadente, der natürlichen Ungleichheit der Menschen widersprechende Verfallsgeschichte interpretiert.“ (10 – Nohlen)

  • “(...) Die sozialen Bezugspunkte werden zunächst  biologisiert: Volk, Gesellschaft, Staat, Mensch, Kultur usw. (...)” (11 -  Kritik der İdeologie des Neofaschismus)

RASSISMUS IST EIN CHARAKTERISTISCHES MERKMAL DES FASCHISMUS

Rassismus steht lediglich im Wörterbuch alleine und nur für sich selbst da. Im gesellschaftlichen Leben hingegen existiert er als ein Merkmal eines ideologischen und politischen Phänomens. Dieses ideologische und politische Phänomen hat gesellschaftliche und wirtschaftliche Grundlagen, welche wiederum einen Klassencharakter besitzen. Bei diesem ideologischen und politischen Phänomen handelt es sich um den Faschismus. Somit ist der Rassismus ein besonderes, charakteristisches Merkmal des (insbesondere deutschen) Faschismus.

Da im gesellschaftlichen Leben der Rassismus ein Merkmal des Faschismus ist, ist ein Rassist nicht eben nur ein Rassist, sondern auch ein Faschist. Im gesellschaftlichen Leben ist es unmöglich den Rassimus vom Faschismus zu trennen. Im gesellschaftlichen Leben darf man den Rassismus nicht unabhängig und getrennt von Faschismus allein betrachten und behandeln. Rassismus ist einer der ideologischen Grundsteine des Faschismus.

Wenn man sich mit dem Rassismus unter verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Aspekten beschäftigen will, darf man ihn nicht alleine und nur für sich selbst, sondern mit dem Phänomen des Faschismus gemeinsam betrachten und behandeln. Er ist nicht einfach eine Meinungsrichtung, die man im Rahmen der Meinungsfreiheit betrachten und behandeln darf. Er ist Vorsatz und eine theoretische Begründung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit.  Er ist ein Merkmal des Faschismus und stellt mit dem Faschismus als Gesamtheit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

RASSISMUS IST NICHT VERFASSUGSKONFORM

Art.1 Abs.1 GG hat mit der Regelung “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” die Türen des Grundgesetzes dem Rassismus gegenüber, der die Würde des Meschen mit Füßen tritt, verschlossen.

Art.1 Abs.2 und Abs.3 GG haben zudem die Türen des Grundgesetzes dem Rassismus gegenüber verriegelt.

Art.1 GG schränkt die in dem Art.5 Abs.1 GG geregelte Meinungsfreiheit ein. Es ist nicht möglich, im Rahmen des Grundgesetzes auf der Meinungsfreiheit in dem Art. 5 Abs.1 GG beruhend den Rassismus zu verteidigen und zu propagieren.

Der Rassismus ist nicht verfassungskonform.

Mit der Regelung in Art.5 Abs.3 S.2 GG “Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.”  wird sowohl “die Freiheit der Lehre” als auch “die Meinungsfreiheit” durch “die Treue zur Verfassung” eingeschränkt.

Auch nach Art.5 Abs.3 S.2 GG ist es nicht möglich, den Rassismus, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Grundrechte und die freiheitliche demokratische Grundordnung im Grundgesetz abzuschaffen, auf der Meinungsfreiheit beruhend verfassungsrechtlich zu verteidigen und zu propagieren.

In  Art.18 GG wird “Die Grundrechtsverwirkung” geregelt: “Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere Pressefreiheit (Artikel 5 Abs.1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), (....) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.” Mit der Regelung in Art.18 GG wird die Meinungsfreiheit durch “die freiheitliche demokratische Grundordnung” eingeschränkt.

Auch nach Art.18 GG darf man somit den Rassismus, der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und deren Prinzipien ist und der es sich zum Ziel gesetzt hat, diese abzuschaffen,  auf der Meinungsfreiheit beruhend nicht verteidigen und propagieren.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland schließt den Rassismus aus und verschließt und verriegelt ihm gegenüber seine Türen.

 

Metin Özdemir

-Jurist-

Berlin, 14.07.2012

 

 

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Literaturverzeichnis:

(1) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Textausgabe – Stand: 2002, Herausgeber:Deutscher Bundestag, -Verwaltung- Referat Öffentlichkeitsarbeit, Berlin, 2003, Gesamtherstellung: Ebner &  Spiegel, Ulm.

(2, 3, 4) Christoph M. Müller, Staats- und Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 60, S. 61, R. v. Decker’s Verlag, G. Schenck, Heidelbeg-Hamburg, 1982.

(5, 6) Walter Alfert, Hermann Kühlkamp, Helmut Stegemann, begleitend Wilfried Erbguth, Staats- und Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 318, S. 319,  Verlag Bernhard- Schünemann, 5810 Witten 3.

(7) Rudolf Weber-Fas, Das kleine Staatslexikon, S. 403, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Stuttgart, 1995.

(8) Prof. Dr. Everhard Holtmann, Politik-Lexikon, S. 567, R. Oldenburg Verlag, München-Wien, 2000.

(9) Prof. Dr. Dieter Nohlen, Prof. , Dr. Florian Grotz, Kleines Lexikon der Politik, S. 459-460, Bundeszentrale für politische Bildung, schriftenreiche Band 759, Verlag C. H. Beck  oHG, München, 2007.

(10)Prof. Dr. Dieter Nohlen, Lexikon der Politik, Band 1 Politische Teorien,  S. 497, Herausgegeben von Dieter Nohlen und Rainer-Olaf Schultze, Büchergilde Gutenberg Frankfurt am Main, 1995.

(11) Kritik der İdeologie des Neofaschismus, S. 88, Redaktion der Originalausgabe: J. D. Modrshinskaja, N. W. Mostowjez, W. I. Zapanow; Übersetzer: Gertrud Lehmann, Christine Broszeit, Josef Görbert,  Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin, 1978.

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